Reinhard Mey Du, meine Freundin

Du, meine Freundin, mein Zuhaus, mein Weg zurück,
Mein Blick voraus,
Mein Jetzt, mein Damals, mein Inzwischen.
Mein Aufbruch, meine Wiederkehr, du,
Mein Wohin und mein Woher,
Meine vier Wände, Bett und Tisch
Mein off'nes Fenster auf die Welt, mein Fluß,
Mein Wald, mein Hof, mein Feld.
Mein Netz von bunten Fischen schwer,
Du, meine Dünen und mein Meer,
Mein Bilderbuch ohne Anfang und Schluß.

Du, meine Freundin, meine Zeit, du,
Mein Verlies, unendlich weit,
Ohne Tür, ohne Gitterstäbe.
Du, meine Freiheit,
Hältst mich dort gefangen auf ein Ehrenwort,
Das ich dir gern auf's neue gebe.
Mein off'nes Fenster auf die Welt,
Mein heißer Sommertag im Feld,
Mein Himmel, grau und wolkenschwer,
Du, meine Dünen und mein Meer,
Mein Bilderbuch ohne Anfang und Schluß.

Du, meine Freundin, Kamerad auf meinem Weg,
Mein guter Rat,
Mein Halt, mein Simon von Kyrene.
Hältst noch zu mir im Untergang,
Wenn alle anderen schon lang
Auf eines Stärk'ren Seite steh'n.
Mein off'nes Fenster auf die Welt,
Mein heißer Sommertag im Feld,
Mein Himmel, grau und wolkenschwer.
Du, meine Dünen und mein Meer,
Mein Bilderbuch ohne Anfang und Schluß.

Mein Freispruch, mein Todesurteil, du,
Mein verspieltes Seelenheil,
Bist noch für mich im Untergehen
Der Strohhalm, der im Wasser treibt,
Die letzte Chance,
Die mir bleibt dem Fegefeuer zu entgeh'n.
Mein off'nes Fenster auf die Welt, mein Fluß,
Mein Wald, mein Hof, mein Feld.
Mein Netz, von bunten Fischen schwer,
Du, meine Dünen und mein Meer,
Mein Bilderbuch ohne Anfang und Schluß.